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Nachts bei -24°

Mein Handy schreit mich an. Es kommt mir vor, als hätte ich mich gerade hingelegt. Es ist warm unter der Decke – es gibt keine Ausrede, ich habe den Wecker gehört. Im Taumel der Müdigkeit schalte ich mein Handy stumm und quäle mich ächzend aus dem Bett. Warum? – Ich will jetzt nicht aufstehen und schon gar nicht aus dem Haus.

Zum Glück kriege ich es nicht mit, dass, und vor allem, wie ich mich anziehen, mir das Gesicht wasche und mich zu einem Kaffee zwinge.

Es ist 2:00 Uhr in der Nacht und eigentlich wäre der erste Kaffee frühestens in ein paar Stunden fällig – nun gut, ich trinke ihn in der Hoffnung meine Gedanken zu ordnen und meinem Schlaftrunk zu Entrinnen.

Ich ziehe mir meine wärmste Jacke, Schuhe und alles an, was mir hilft nicht zu erfrieren. Ich hasse Kappen und Handschuhe, dies ist immer ein Indiz dafür, dass es draussen kalt ist.

Ich öffne die Tür und gehe aus dem Haus – zum Glück sind mein Körper und meine Sinne noch im Schlafmodus – die „Kälte“ kommt noch nicht in meinem Hirn an.

Ich kratze die Scheiben, steige ins Auto – zum Glück, es hat nicht geschneit, sonst hätte ich einen Fussmarsch vor mir. Das Auto eisig kalt und ich realisiere, dass mein Hirn langsam in Fahrt kommt: „scheiss Kälte“! Ich starte den Motor und mache mich auf den Weg – zum Glück sind die Strassen geräumt (gut gemacht Jungs) und ich gehe davon aus, dass ich nicht durch Glatteis aus der Bahn komme.

Ich sehe aus dem Fenster Richtung Süden, im Mondlicht zeichnet sich eine majestätische Silhouette ab, welche vom Hügel höhnisch auf mich runter sieht.

Verachtend sehe ich vor dem Aussteigen nochmals auf die Temperaturanzeige im Auto – das muss ein Fehler sein…?

Ich steige aus - was um Himmelswillen mache ich hier? – Mein Körper schreit nach der warmen Decke und mein Hirn…denkt an die Kündigung.

Die Anlage baut sich vor mir auf wie ein riesiger Schatten der mich verschlingen will – ich könnte schreien und kein Mensch würde mich hören, ich würde kläglich erfrieren – alleine die treuen Gemeindearbeiter würden mich, bei Ihrer aufgetragenen Arbeit den Winterdienst auszurichten, in ein paar Stunden entdecken.

Gelöst von den Horrorgeschichten, welche sich durch meine Gedanken bohren, mache ich mich auf den Weg zum Tor. Mit voller Wucht zieht der Wind über die Kuppel, nein, die im Auto angegebenen -24°; - ja, minus, waren kein Scherz, VW hat es an dieser Stelle nicht verscherzt. Ich friere fast auf der Stelle ein – hoffentlich macht der Schlüsselzylinder keinen Ärger – wie würde ich das Dinge, wenn es eingefroren ist, öffnen können? – Anhauchen? – ist wohl ein Scherz.

Zielstrebig marschiere ich auf das Tor zu, der Blick versteift auf meinen Weg gerichtet, den Schal über die Nase, die Kappe fast über die Augen – das einzige Ziel, so schnell wie möglich wieder irgendwo rein.

Ich halte den Schlüssel in meiner Jackentasche fest umschlungen, wie wenn ich ihn beschwören möchte, dass das Schloss ohne Zicken sich öffnen lassen würde.

Ich überquere die Brücke - der Weg erscheint mir solange wie noch nie - ich ziehe den Schlüssel aus meiner Tasche und versuche den Schlüssel im Zylinder zu drehen – vergeblich. Ich fluche und fange gleichzeitig an zu Lachen – war ja klar, ich Depp, habe vergessen Enteiser an das Schloss anzubringen, ein paar Stunden zuvor, als ich ging. Nein, du nicht, innig versuchte ich den Schlüssel hin und her zu drehen und habe in diesen Sekunden sogar die Kälte vergessen. Plötzlich ein Ruck und der Schlüssel dreht sich – siehst du, denke ich überlegen – ich lass mich nicht so schnell abwimmeln.

Ich trete ein und mache das Licht im Vorhof an – für einen Moment musste ich stehen bleiben und inne halten.

Ich gehe die letzten Stufen hoch, bevor ich vor dem Eingang in die Gemäuer stehe, wieder halte ich an und drehe mich um – mir stockt der Atem.

Für einen Moment vergesse ich alles, das warme Bett, die Kälte, den zur falschen Zeit getrunkene Kaffee – der Anblick auf Arlesheim, das Dreiländereck, den auslaufenden Jura – ja, der helle Mondschein lässt sogar die Konturen der Vogesen erahnen – ich kann die Schönheit nicht in Worte fassen. Ich stehe einfach da und bin überwältigt.

Fast vergessen, was ich für eine Mission habe und inzwischen versöhnt mit der Kälte, trete ich ein. Der Empfang ist herzlich. Die bereits vor Stunden eingeheizten Öfen strahlen Wärme ab und die Burg umarmt mich mit Ihren dicken Mauern, wie wenn sie mich in den Schoss nimmt und mir Geborgenheit vermitteln möchte. Ich streiche über ein Stück der Mauer und Grüsse die „Alte Dame“.

Im Moment könnte ich mir keinen Ort vorstellen, wo ich lieber wäre, als hier in der „Burg Reichenstein“ – lass uns bereit machen für die Gäste, auf welche wir uns freuen und in Bälde eintreffen werden.

Ich werfe Holz in die Öfen – bevor ich mich wieder auf den Heimweg begebe, kann ich es nicht unterlassen ganz nach oben in den Turm zu gehen – könnten die Mauern und wunderschönen Räume doch nur Geschichten erzählen – hier wurde schon viel gelacht und freudiger Anlass gefeiert. Die kleinen Nischen laden zum Verweilen ein, ja, wie mir gesagt wurde, die Zeit scheint hier anders zu ticken. Im Turmzimmer, welches über den Baumwipfeln ragt, angekommen…welch Anblick, diese Stille, diese Schönheit; - Ich kann mich kaum sattsehen.

Zufrieden mache ich mich wieder auf den Heimweg, als ich auf der Brücke stehe und das Tor schliesse, kommen zwei Uhus geflogen wie jedes Mal, wenn ich nachts der Burg einen Besuch abstatte. Sie begleiten mich musikalisch zum Auto und fliegen dann weiter.

Ich sitze im Auto, -24°. Kalt ist mir schon lange nicht mehr und mir geht folgendes durch den Kopf: Dies muss der schönste Arbeitsplatz in unserer Region sein, die Burg Reichenstein ist eine wunderbare Perle und ich freue mich, wenn ich das nächste Mal hier sein darf.

 

Es ist 3:30 - meine Decke hat mich wieder, mein Wecker gestellt.

 

 

Ich bin 1976 geboren und durfte auf einem Bauernhof in Hochwald aufwachsen. Nach absolvierter KV-Lehre habe ich mich selbständig gemacht und bin bis heute in der Fahrradbranche aktiv.

Seit 2000 wohnen wir im schönen Arlesheim. Mein Amtsantritt zum Burgwart der Burg Reichenstein war der "Tag der offenen Tür", 1. August 2011.

 

Hier können Sie mehr über mich erfahren:

 

 

 

Ich hoffe Sie irgendwann auf der Burg Reichenstein begrüssen zu dürfen – ich freue mich auf Sie.

 

Patrik Vögtli  (Burgwart Burg Reichenstein)

 

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